Lukas Joos studierte Philosophie und Osteuropäische Geschichte. Er ist selbstständiger Berater im Bereich strategische Kommunikation und Co-Host des Videopodcasts «Joos & Jauch».
Selbstherrliche Behörden ziehen ohne Rechtsgrundlage Waffen ein. Die Bürgerlichen schauen zu.
Der Baselbieter Unternehmer und Massnahmenskeptiker Michael Bubendorf ist seit seiner Jugend Schütze und besitzt mehrere Feuerwaffen. Kürzlich beantragte er einen zusätzlichen Waffenerwerbsschein. Statt des Scheines erhielt er von der Polizei eine Vorladung: Einmal erschienen, eröffnete man ihm, er habe entweder zum Psychiater zu gehen, um sich auf eigene Kosten seine Ungefährlichkeit bescheinigen zu lassen, oder alle seine Waffen abzuliefern.
Das Waffengesetz regelt in Artikel 8, unter welchen Umständen die Behörden das Recht haben, legal erworbene Waffen einzuziehen. Es gibt genau drei Bedingungen, die ihnen dieses Recht geben: 1) Entmündigung; 2) wiederholte Verurteilung wegen Vergehen oder Verbrechen: 3) eine Handlung, die «eine gewalttätige oder gemeingefährliche Gesinnung bekundet».
Herrn Bubendorfers Strafregisterauszug ist weiss, und entmündigt wurde er auch nicht. Welche «Handlung, die eine gewalttätige oder gemeingefährliche Gesinnung bekundet», warf ihm die Polizei also vor? Keine. Stattdessen eröffnete ihm der zuständige Sachbearbeiter, das Kantonale Bedrohungsmanagement habe wegen seiner Gesinnung «Alarm geschlagen»: «Das neue, libertäre Gedankengut macht uns bei den Behörden eben Angst. Wie können Sie, Herr Bubendorf, garantieren, dass Sie ihre Waffen niemals gegen die Behörden einsetzen werden?»
Null legale Waffenbesitzer
Mit dieser Behördenposition gibt es mindestens drei elefantengrosse Probleme. Erstens gehört es zu den Eigenschaften der Zukunft, dass man sie in der Gegenwart nicht garantieren kann. Wären irgendwelche Sicherheiten in Bezug auf übermorgen Voraussetzung für Waffenbesitz, dürften in der Schweiz null Waffenerwerbsscheine ausgestellt werden.
Zweitens muss in einem Rechtsstaat niemand garantieren, dass er niemals Waffen gegen Behörden einsetzt. Dass man geistesgestörten Behördenfeinden vom Typ Leibacher die Waffen einziehen können sollte, ist das eine. Das andere ist, von irgendwem – egal, ob von Waffenbesitzern oder Nicht-Waffenbesitzern – eine pauschale Garantie zum Gewaltverzicht gegenüber Behördenmitgliedern zu verlangen. Eine solche Garantie würde sich nicht nur mit dem Recht auf Notwehr- und Notwehrhilfe (Art. 15-18 StGB) schneiden, das weder Ausnahmen für den Schutz vor widerrechtlichen Angriffen durch Behördenmitglieder vorsieht noch stipuliert, Notwehr und Notwehrhilfe habe stets unbewaffnet zu erfolgen. Sie würde auch gegen jeglichen gesunden Menschenverstand verstossen. Wenn zwei Polizisten in Uniform ins Schlafzimmer einer Frau eindringen, um sie zu vergewaltigen, muss die Frau das Recht haben, auf sie zu schiessen. Dass dieses Szenario in der Schweiz äusserst unwahrscheinlich ist, spielt dabei keine Rolle. Entscheidend ist, dass in einem Rechtsstaat der Behördenstatus einer Person, die widerrechtlich Gewalt ausübt, dem Opfer nicht das Recht nimmt, die Gewalt angemessen abzuwehren.
Drittens und letztens ist es völlig irrelevant, wie beunruhigt Behörden über irgendwelches «libertäres Gedankengut» sind. Können sie einem mündigen, unbescholtenen Bürger wie Herrn Bubendorf keine Handlung nachweisen, die eine gewalttätige oder gemeingefährliche Gesinnung bekundet, gibt ihnen das Waffengesetz keinen Handlungsspielraum: Sie dürfen weder Waffen einziehen noch psychologische Gutachten fordern.
Den Bürgerlichen ist es egal
Ganz offensichtlich agiert das «Bedrohungsmanagement» in Herrn Bubendorfs Kanton völlig losgelöst vom Waffengesetz, ohne Rechtsgrundlage, in eigener Regie. Dass das möglich ist, hat einen einfachen Grund: Niemand hindert diese «Bedrohungsmanager» in ihrer Selbstherrlichkeit. Bürgerlichen Parteien und Organisationen sind solche Entwaffnungsversuche egal. Die Wahrscheinlichkeit, dass Herr Bubendorf Unterstützung vom Schützenverein, der Offiziers- oder Unteroffiziersgesellschaft, einem Wirtschaftsverband oder einer liberalen Partei enthält, ist gleich null. Geht es nach diesen Akteuren, soll der Bürger am Sonntag Armeevorlagen zustimmen und «KMU-feindliche» Initiativen für mehr Ferien, Elternzeit, Renten et cetera ablehnen. Wie übergriffig und parasozialistisch der gleiche Bürger den Staat im Alltag erlebt, interessiert sie hingegen nicht wirklich.
Das war nicht immer so. 1995 war das das eidgenössische Waffengesetz in der Vernehmlassung. Vom Geiste der heutigen «Bedrohungsmanager» beseelte Kreise wollten das damals in den meisten Kantonen freie Waffentragen mittels eines «Bedürfnisnachweises» einschränken. Der Gewerbeverband sprach sich strikt dagegen aus. «Eine solche Regelung entspricht weder der vom Souverän geforderten Missbrauchsgesetzgebung noch wäre sie geeignet, Verbrechen zu verhindern.» Noch deutlich formulierte es die FDP: «Die Einführung eines Bedürfnisnachweises höhlt das Recht auf Waffentragen bis zur Unkenntlichkeit aus». Selbst die Polizeiverbände forderten ein Führerausweisprinzip ohne Bedürfnisnachweis.
Der Nachweis kam trotzdem durch. Und genau, wie es die FDP befürchtete, wird er als totales Verbot gehandhabt. Nicht nur zu diesem Tragverbot kommt den heutigen Liberalen und anderen Bürgerlichen aber nichts mehr in den Sinn, sondern auch zu den zunehmenden Besitzverboten. Vielleicht liegt es auch am Desinteresse an solchen Belangen, dass ihre Hausmacht beim Volk vor dreissig Jahren noch ungleich grösser war als heute.